24.07.2018
Schwere Kost leicht verständlich vermittelt: Von Bettlern, Geflüchteten und mir selbst
Dr. Ulrich Dickmann erkärte Emanuel Levinas Philosophie zur "Verantwortung für den Anderen" auf das alltägliche Leben bezogen
Emanuel Levinas – Keine leichte Kost. Doch Dr. Ulrich Dickmann, Gastreferent im Philosophischen Café, ist es gelungen, die Thesen des litauischen Philosophen (1906-1995) herunter zu brechen. So konnte sich eine angeregte Diskussion an den Eingangs-Vortrag des stellvertretenden Leiters der katholischen Akademie Schwerte anschließen.
Verantwortung als gesetzte Verpflichtung
Im Mittelpunkt stand „Die Verantwortung für den Anderen“, die laut Levinas als eine grundsätzliche Verpflichtung vorausgesetzt ist. Das andere Individuum hat einen Anspruch auf meine Verantwortung. Levinas sieht Verantwortung immer in einer Beziehung. Der andere zeigt mir nicht nur sein Gesicht, sondern auch sein Antlitz, sein Inneres, und sendet so einen Apell (einen Hilferuf) an mich, fordert mich auf, Verantwortung zu übernehmen. Diese kann ich nicht an andere abgeben.
Fragen für das (Alltags-)Leben
Daraus ergaben sich zahlreiche Fragen der Teilnehmer im Philosophen Café: Was ist, wenn ich meine Verantwortung nicht wahrnehme? Wenn ich einfach an einem Bettler vorbeigehe? Warum tue ich das? Was geschieht dabei mit mir?
Was ist, wenn der neu in Schwerte angekommene Geflüchtete meine Hilfe unter Umständen nicht möchte oder etwas ganz anderes benötigt, als ich ihm anbiete? Wie verstehe ich meine Verantwortung richtig?
Verantwortung für sich selbst setzt Grenzen
Was mache ich, da ich doch nicht für alle Bedürftigen eine Verantwortung übernehmen kann? Wo endet die Verantwortung für den anderen und wo beginnt die Verantwortung für mich selbst, wenn ich sehe, ich schaffe es nicht mehr, da die Verantwortung bzw. meine Arbeit zur Hilfe zu umfangreich wird? Wann wird die Verantwortung zur Bürde?
Wo bleibt aktuell die Verantwortung für Geflüchtete?
Möchte ich überhaupt, dass andere Verantwortung für mich übernehmen? Wo ist in der momentanen Asyldebatte die Verantwortung gegenüber den zahlreichen Geflüchteten und Flüchtenden?
Uneinlösbarer Anspruch -> Persönliche Wegweiser statt Lösung
So entwickelte sich ein angeregter Austausch, der nicht das Ziel hat, konkrete allgemeingültige Ergebnisse zu liefern, der aber manchem auf seinem eigenen Weg weiterhelfen kann. So waren häufiger Beiträge zu hören wie: „So habe ich das noch nie betrachtet“, „da habe ich bisher viel zu eng und in Schubladen gedacht“ oder „jetzt verstehe ich das“. Levinas selbst betont, dass die Forderung des Anderen an mich unendlich ist und es unmöglich sei, dem Anspruch gerecht zu werden, die Forderung einzulösen.
Niederschwellige Gesprächsrunde für jeden Gedanken
Die Runde im Philosophischen Café zieht den Vorteil daraus, dass sie unter der Leitung von Emmi Beck und Brigitte Fritz als Bürger-Projekt aus dem "Atelier der Ideen" der Bürgerstiftung St. Viktor sehr niederschwellig angelegt ist: Jeder mit Interesse an der Philosophie – ob Insider oder Neuling - kann teilnehmen. Jeder Beitrag und jede Frage werden ernst genommen und besprochen.
Neue Erkenntnisse gewinnen
So kommt es zu zahlreichen und guten Beiträgen aus dem eigenen Wissen und den eigenen Lebenswelten, die die hohen Theorien der Philosophen für den Alltag aller verständlich werden lassen. Jeder kann mithilfe der Referenten und der anderen Teilnehmer einen Zugang finden, neue Erkenntnisse gewinnen oder eine Bestätigung des bereits Gedachten in philosophischem Kontext wohl formuliert und strukturiert wiederfinden.
Referenten-Lob für großes Interesse und gute Atmosphäre
Und so zog auch Dr. Dickmann eine positive Bilanz des Abends und lobt die zahlreichen Wortmeldungen und die gute Atmosphäre im Philosophischen Café. Das spiegele sich auch in der Größe der Runde - mehr als 40 Gäste waren gekommen - und dem starken Interesse wider: „Dass trotzt Ferien und des heißen Wetters die Gäste so zahlreich erschienen sind, hätte ich nicht erwartet.“
Text & Fotos: Martina Horstendahl